Psychoanalyse
1897 geboren, kam Reich nach dem Krieg 1918 nach Wien, wo er Medizin studierte. Dort kam er in Berührung mit Sigmund Freuds Psychoanalyse. Er arbeitete sich so gründlich in die Thematik ein, dass er noch als Student 1920 in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen wurde. Sigmund Freud war von dem jungen Talent sehr angetan und Reich war in dem Zirkel um Sigmund Freud anfangs ein gern gesehener Gast.
Um das weitere Geschehen zu verstehen, muss man wissen, dass es zu jener Zeit zwar jede Menge Schriften zur psychoanalytischen Theorie gab, also Schriften, die versuchten, die Funktionsweise der menschlichen Psyche zu beschreiben, doch nur wenige Aufsätze, die sich mit der Technik der psychoanalytischen Therapie beschäftigten. Das Material der theoretischen Schriften entstammte unzähligen psychoanalytischen Sitzungen, die die Analytiker mehr oder minder aus dem Bauch heraus führten.
Reich und ein paar andere jüngere Analytiker wollten diesen Missstand beheben und schlugen die Gründung eines Seminars für psychoanalytische Technik vor. So geschah es auch, das Seminar wurde gegründet und ab 1924 leitete Wilhelm Reich das Seminar.
Unter anderem kann sich das Seminar unter der Leitung Reichs zwei Errungenschaften auf die Fahnen schreiben:
- Die Entwicklung eines klaren triebökonomischen Konzepts der psychischen Störungen. Auf gut Deutsch: Freud's Auffassung, dass zur psychischen Gesundheit ein gesundes Sexualleben gehört, wurde auf eine wissenschaftliche Basis gestellt. Dazu war es notwendig, einmal zu definieren, was man unter einem gesunden Sexualleben versteht. Als wesentliches Element der gesunden Sexualität nennt Reich das Erleben eines vollständigen Orgasmus. Das Buch, in dem diese Erkenntnisse veröffentlicht wurden, heißt denn auch "Die Funktion des Orgasmus".
- Reich und seine Kollegen fanden heraus, dass neurotische Störungen auf einer charakterlichen Basis wachsen. Diese Charakterbasis stellt sich bei der Behandlung in den Dienst der Abwehr gegen die analytische Behandlung. Dass es solch eine Abwehr gibt, war schon lange bekannt. Neurotische Störungen entstehen dadurch, dass Erlebnisse und die damit verbundenen Affekte ins Unbewusste verdrängt werden. Beim Versuch, das unbewusste Material wieder ans Licht des Bewusstseins zu holen, leistet die Psyche erheblichen Widerstand - diesen nennt die Psychoanalyse Abwehr. Die Abwehr verwebt sich mit der Persönlichkeit des Klienten, so dass beides als untrennbar erscheint. Hier spricht die Psychoanalyse dann vom neurotischen Charakter. Wie der neurotische Charakter entsteht und wie man therapeutisch damit umgehen kann, beschreibt Reich in seinem Buch "Charakteranalyse".