Der Übergang zur Körperarbeit

Die Analyse des Charakters war ein schwieriges Unterfangen. Manche Klienten hüllten sich monatelang in Schweigen, oder ließen alle Deutungsversuche durch stereotype Haltungen, wie zum Beispiel spöttisches Lächeln, an sich abperlen.

Reich beschreibt diese stereotypen Haltungen als Charakterpanzer. Er beschreibt auch das Phänomen der Affektsperre, also die emotionale Unbeweglichkeit, die aus der Panzerung resultiert.

Die ausführliche Fallstudie eines masochistischen Charakters in der "Charakteranalyse" zeigt dann sehr plastisch den Zusammenhang zwischen Panzerung und dem Energiestau, der sich dadurch ergibt. Reich zeigt, dass der masochistische Charakter letztlich einfach nur die Auflösung eines Erregungsstaus ersehnt - bis hin zur Sehnsucht nach dem gewaltsamen Aufbrechen seines Panzers durch Schmerzen. Der Schmerz führt natürlich nicht zur ersehnten Erleichterung und so bleibt der masochistische Charakter in seinem Leid gefangen.

Dieses Modell der Sehnsucht nach Erlösung und der Unfähigkeit zu einer passenden Strategie, die die Spannung wirklich erlöst, ist für Reich das Modell der neurotischen Störung schlechthin.

Ein Missverständnis, das öfters an dieser Stelle entsteht, ist der Glaube, Reich meine, dass die Spannung durch einen sexuellen Akt lösbar ist. Das ist natürlich nicht der Fall. Klienten mit neurotischen Störungen leiden an der Spannung, weil sie unfähig zu einem befriedigenden sexuellen Kontakt sind. Die Aufgabe des Therapeuten ist es daher, zu helfen, dass die Hindernisse, die einer befriedigenden Sexualität im Weg stehen, beseitigt werden. Die Charakterhaltungen sind ein Schlüssel zu diesem Unterfangen.

An diesem Punkt stand Reich direkt an der Schwelle zur körperorientierten Arbeit. Aber noch beschränkte sich Reichs Technik auf die rein psychoanalytische Deutungsarbeit.

Die "Charakteranalyse" gilt immer noch als ein Klassiker der Theorie der psychoanalytischen Technik. Das Buch war seinerzeit lange erwartet worden und das Erscheinen des Buches hätte eine fulminante Karriere Reichs in der psychoanalytischen Bewegung krönen können. Aber es kam anders.

-> Neurosenprophylaxe und Sexualpolitik