Eine Störung, drei Sichten
Stellen wir uns einmal vor, Melvin würde mit seinen Marotten einen Therapeuten aufsuchen (das hat er im Film natürlich nicht getan). Um zu entscheiden, an wen er sich wenden soll, versucht er es mit einer Probesitzung bei drei verschiedenen Therapeuten: Bei einem Verhaltenstherapeuten, einem Psychoanalytiker und einem körperorientierten Therapeuten*.
Jeder dieser Therapeuten hat ein unterschiedliches Erklärungsmodell für die neurotischen Symptome, die Melvin beklagt, und leitet daraus die Art und Weise ab, wie er den Fall behandelt.
Der Verhaltenstherapeut
Der Verhaltenstherapeut sieht es so, dass Melvin durch bestimmte Impulse ein Fehlverhalten gelernt hat. Er wird in der Therapie gezielte Anreize setzen, so dass Melvin einmal einen Tritt auf eine Pflastersteinfuge versucht, oder ein Stück Seife zum zweiten Mal zu benutzt. Wird dies immer wieder geübt und mit entsprechenden "Belohnungen" belegt, so ist es möglich, dass Melvin mit der Zeit lernt, Seife öfters zu benutzen und ganz normal über den Gehsteig zu gehen.
Der Psychoanalytiker
Der Psychoanalytiker sieht in den Symptomen einen Sinn. Seiner Theorie folgend, nimmt er an, dass hinter Melvins Reinlichkeit eine Fixierung an die anale Phase vorliegt. Und er weiß, dass Melvin nichts davon bewusst ist. Er wird Melvin so lange mit frei fließenden Gedankenverbindungen sprechen lassen (die sogenannte freie Assoziation), bis Melvin irgendwann den Sinn seiner Symptome selbst erkennt und dadurch Zugang zu den verborgenen Erinnerungen und Affekten erhält, die sich hinter den Symptomen verstecken. Die Symptome können verschwinden, wenn er diese Erinnerungen und Affekte integrieren kann.
Der körperorientierte Therapeut
Der körperorientierte Therapeut konzentriert sich auf die Störung der lebendigen Pulsation durch unterdrückte Emotionen. Er wird versuchen, die Lebendigkeit in Melvin wieder freizulegen. Er wird untersuchen, wo sich bei Melvin unterdrückte Emotionen zeigen, mit anderen Worten, er wird nach Panzerungen Ausschau halten. Bei Melvin wird er eine Menge Panzerungen finden: Die Augen sind verkniffen, die Kaumuskeln angespannt, die Atmung flach, die Rückenstrecker sind angespannt, das Becken ist nach hinten gekippt und in dieser Position versteift.
Nun wird er diese Panzerungen eine nach der anderen zusammen mit Melvin angehen, so dass Melvin wieder fähig wird, die in der Panzerung zurückgehaltenen Affekte auszudrücken. Der Erfolg der Behandlung wird davon abhängen, wie weit die Wiederherstellung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit gelingt.
Unterstützend zu dieser körperlichen Arbeit wird er eine konsequente Analyse der Charakterhaltungen Melvins vornehmen, soweit sie den Ausdruck seiner Emotionen blockieren. Die Symptome können verschwinden, wenn es gelingt, dass Melvin Zugang zu seinen versteckten Emotionen erhält.
Diese Vorgehensweise wird in den nächsten Abschnitten genauer beschrieben.