Die tantrische Praxis
Das Tantra, wie wir es lehren, geht auf die Schrift des Vigyam Bajrav Tantra zurück. Dies ist ein Dialog zwischen Shakti und Shiva. Shakti stellt eine existentielle Frage über die Natur des Bewusstseins: "Was ist Deine Realität? Was ist dieses wundererfüllte Universum?".
Shiva könnte ihr eine gelehrte, philosophische Antwort geben. Aber er entscheidet sich anders. Er gibt ihr eine Sammlung von 112 meditativen Übungen mit. Er weiß: Wenn sie diese Übungen vollzieht, dann wird sich ihr die Erkenntnis von selbst öffnen. Diese 112 Übungen sind der Kern des tantrischen Wegs.
Tantra, wie wir es lehren, ist ein Weg der Praxis. Das heißt, wir tun etwas. Dieses Etwas, das wir da tun, ist eine Mischung aus altem Wissen und alten Ritualen und moderner wissenschaftlich fundierter Körperarbeit.
Der Drei-Schritte-Prozess
Aus großer Entfernung betrachtet folgt Tantra einem Drei-Schritte-Prozess: Den Strömungsreflex auslösen - Die Ekstatische Reaktion wecken - Die Welle der Glückseligkeit reiten.
Der erste Schritt: den Strömungsreflex auslösen
Osho hat einmal gesagt: "Es ist schwierig, in dieser Gesellschaft einen Menschen zu treffen, der nicht verspannt und verklemmt ist. Es ist schwierig, einen Menschen zu treffen, der tief atmet, denn der Atem strömt direkt in Dein Sexzentrum und massiert es von innen. Und aus Angst, ihre Sexualität, ihre Lust zu zeigen, atmen die Menschen nicht".
Diese Angst vor dem Atem begegnet mir in meiner Praxis täglich. Bei den meisten Menschen ist der Fluss der Energie im Körper blockiert. Warum ist das so?
Ursachen der Blockierungen
Vielleicht habt Ihr schon einmal beobachtet, dass Kinder sozusagen "polymorph ekstatisch" sind, sich also auf vielfältige Weise Lust verschaffen und diese auch ungehemmt leben. Dabei bleiben sie völlig unschuldig. Es gibt nichts zielorientiertes daran.
Allerdings ist unser gesellschaftliches Umfeld sehr lustfeindlich. Kinder dürfen keine Lust und keine starken Emotionen zeigen -- und vor allem keine Wut.
Kinder, deren Lust gebremst wird, werden erst einmal wütend. Aber das ist ein absolutes No Go in unserer Gesellschaft. So müssen die Kinder Strategien finden, wie sie diese Einschränkung ihrer Lebensfreude verkraften:
- Sie schützen sich, indem sie ihre emotionale Ausdrucksfähigkeit einschränken
- Sie verspannen die Muskelpartien, die dem Ausdruck ihrer Emotionen dienen
- Sie schränken den Energiefluss im Körper und die Fühlfähigkeit ein.
Aber um Ekstase und Orgasmus erleben zu können, ist der freie Fluss der Energie und des Atems im Körper erforderlich. Im Tantra lockern wir die Blockierung des Energieflusses im Körper. Wir nutzen dazu Körperarbeit und auch Techniken des Yoga.
Der Strömungsreflex
Wenn der Körper nicht blockiert ist, dann kann er sich im Zustand hoher Erregung unwillkürlich bewegen. Wenn Du tief ausatmest, dann hebt sich ganz von alleine das Becken und diese Bewegung läuft dann in einer Welle im Körper nach oben aus. Diese unwillkürlichen Bewegungen nennen wir im Tantra "Strömungsreflex" (Wilhelm Reich nannte die gleiche Erscheinung "Orgasmusreflex").
Das ist der erste Schritt der tantrischen Praxis: Die Auslösung des Strömungsreflexes.
Der zweite Schritt: Die ekstatische Reaktion wecken
In diesem Schritt lernst Du, im Zustand hoher Erregung entspannt zu bleiben. Das gilt nicht nur für die sexuelle Erregung. Wir können das in einem nichtsexuellen Kontext üben. Aber es hat eine wunderbare Auswirkung auf den Sex.
Der herkömmliche Sex teilt sich in zwei getrennte Zeitabschnitte ein: Vor und nach dem Orgasmus.
- Im ersten Abschnitt empfinden wir sexuelle Erregung und Anspannung. Er ist lustvoll und drängend. Am Ende dieses Abschnitts steht der Orgasmus, beim Mann mit der Ejakulation verbunden.
- Der zweite Abschnitt, nach dem Orgasmus, zeichnet sich durch Entspannung und gedankliche Stille aus, die Erregung ist verschwunden.
Wir können aber beides zur gleichen Zeit haben: Sowohl das wunderbare Gefühl der sexuellen Erregung als auch den Zustand der Entspannung und der gedanklichen Stille.
Das kannst Du erreichen, indem Du im Zustand hoher Erregung langsam und tief atmest. Überhaupt gilt im Tantra: Schnelles und tiefes Atmen baut Erregung auf, langsames und tiefes Atmen hält die Erregung im Körper.
Der Dritte Schritt: Die Welle der Glückseligkeit reiten
Die Welle der Glückseligkeit ist das zentrale tantrische Ritual, auf das uns die beiden ersten Schritte vorbereiten. Es ist eine sehr intime Begegnung zwischen Mann und Frau.
Diese Begegnung kann sich zu einer Intensität steigern, dass ein Zustand erreicht werden kann, in dem wir unsere Grenzen auflösen und mit dem Partner / der Partnerin verschmelzen.
Dieser Zustand zeichnet sich durch ein Gefühl der Verbundenheit mit allem aus. In spirituellem Sprachgebrauch ausgedrückt, ist das nichts anderes als eine Erleuchtungserfahrung, also eine direkte Wahrnehmung unserer eigentlichen Natur.